Sie sind hier: Startseite / Beiträge / Ein Langzeitpraktikum

Ein Langzeitpraktikum

In der Carina absolvieren immer wieder PraktikantInnen aus unterschiedlichsten Ausbildungsbereichen ihre Praktikas.

Johanna Meier hat bei uns ihr Langzeitpraktikum während ihrer Ausbildung zur Sozialarbeiterin (Studiengang Sozialarbeit FH Dornbirn) absolviert. Sie grüßt uns aus London, wo sie derzeit Auslands Erfahrungen sammelt. Danke an Johanna für ihren Praktikumsrückblick, den sie uns zur Veröffentlichung zur Verfügung stellt:

Praktikumsreflexionenals soziotherapeutische Praktikantin

Gerne blicke ich auf die Zeit zurück, in der ich als Praktikantin in der Therapiestation im Team mitarbeiten durfte und sah respektive sehe es als Privileg an, als einzige aus unserem Studiengangsjahr der Sozialen Arbeit an der Fachhochschule Vorarlberg, die Möglichkeit dazu bekommen zu haben.

Ich habe diesen Praktikumsplatz bewusst ausgewählt, da es mir ein großes Anliegen war, mich zu fordern und vor allem Vieles wie vielfältig zu lernen – für mich persönlich, da ich nur zu gut um meine Schwächen wusste und weiß, als auch in beruflicher Hinsicht als zukünftige Sozialarbeiterin. Und ich bin diesbezüglich nicht enttäuscht worden – ganz im Gegenteil. Ich habe mehr gelernt und erfahren als mir im Grunde lieb war. Vor allem habe ich mich (noch) besser kennen gelernt und Dinge an mir entdeckt, die ich eigentlich nicht unbedingt sehen und vor Augen geführt bekommen wollte. Es hat mir gezeigt, dass viele persönliche Herausforderungen, von denen ich fest überzeugt war, bereits bestens und vollkommen verarbeitet zu haben, noch nicht einmal im Geringsten oder ansatzweise überwunden waren, dass sie in gewisser Weise weiterhin in mir schlummerten und geschlummert haben, und vor allem dass ich keineswegs in mir gefestigt war bzw. meinen Charakter und meine Persönlichkeit nur in einem unzureichenden Ausmaße ausgereift hatte.

Dadurch bot ich eine gute Angriffsfläche für die PatientInnen, die sehr genau spürten, wo ich meine Schwachstellen hatte und ich muss gestehen, dass ich in Folge dessen sehr oft an meine Grenzen gestoßen bin. Dafür bin ich ihnen trotz allen negativen Erfahrungen, die ich im Zuge dessen machte, sehr, sehr dankbar, da sie mir mehr als eindrücklich aufzeigten, dass alles kognitiv erlernte Wissen in der Praxis oft nicht mehr viel wert ist, da es in der Arbeit mit Menschen, und ganz im Besonderen mit suchtkranken Menschen, zu einem großen Teil um die eigene Person, die Person des Sozialarbeiters/der Sozialarbeiterin geht – neben all dem anderen natürlich. Dies kann nicht in Vorlesungen erlernt oder in Seminaren erarbeitet werden – hierfür benötigt es einen Prozess der eigenen persönlichen Entwicklung und vor allem dem Ausgesetzsein der harten Schule der Praxis.

Diese Erkenntnis gewonnen zu haben war ernüchternd und hat mich mehr als bescheiden gemacht, was meine Bewunderung für all die TherapeutInnen noch mehr verstärkt hat. Sie arbeiten tagtäglich so intensiv mit Menschen zusammen, wobei die erwünschten Ergebnisse und „Erfolge“ sehr gering im Verhältnis dazu ausfallen, und ernten im Gegenzug so wenig Anerkennung – von außen wie innen. Zu oft werden sie leider auch mit dem Klientel identifiziert und assimiliert, wobei ganz geringschätzige und abwertende Vorurteile gerade suchtkranken Menschen gegenüber herrschen. Aber wer einmal die Chance hat(te), mit ihnen in der Therapie arbeiten und sie dabei näher kennen lernen zu dürfen – hinter die Fassade, auf ihren tiefen, inneren Kern blicken zu können, der heil ist – kann sehen, welche oft so begabten und wertvollen Menschen sie im Grunde sind. Die Suchtproblematik ist nur ein Teil von ihnen, macht sie aber nicht wirklich als Person im Inneren aus. Eigentlich fasziniert es mich immer noch, wie sensibel diese Menschen auch anderen gegenüber sind. Sie sind nicht nur feinfühlig, verletzbar und zutiefst empfindsam was ihre eigene Person anbelangt, sondern weisen auch für ihre Umwelt ein Gespür auf, das mich immer wieder in Erstaunen versetzte.

Eine Gabe, die sie leider manchmal auch im Negativen ausnützen, wenn es darum geht, mit den BetreuerInnen zu spielen, ihnen etwas vorspielen oder sie gegeneinander auszuspielen. Dies barg gerade für mich eine große Gefahr, derer ich mir vorerst nicht wirklich bewusst war, da ich mich zu leicht in all dies verstricken ließ und nicht richtig wusste, wie ich damit umgehen sollte. Es war vor allem die Ambivalenz, die ich in mir trug, die es mir so schwer machte. Auf der einen Seite sind einem die Menschen ans Herz gewachsen, da man durch die tägliche Arbeit mit ihnen über die vielen Wochen eine Beziehung aufgebaut hat, und überdies rein rational weiß, dass ihr Verhalten suchtbestimmt ist und nicht persönlich gegen die eigene Person geht, andererseits überkommt einen dann aber doch eine so große Enttäuschung, Wut und Verletztheit, dass man sich doch hinreißen hat lassen und im wahrsten Sinne des Wortes nur ausgenützt, um den Finger gewickelt und an der Nase herumgeführt – ja richtiggehend vorgeführt – worden ist, dass ich in arge Konflikte mit mir selbst kam.

Doch die Unterstützung, die ich im Team fand, gab mir den Halt zurück, den ich verloren hatte. Es hat nie einen Zeitpunkt gegeben, an dem ich mich nicht öffnen und sozusagen „ausweinen“ konnte, es hat nie eine Stunde gegeben, in der ich das Gefühl hatte, mit meinen Problemen, Ängsten, Sorgen und Nöten lästig zu sein und es hat nie einen Tag gegeben, an dem ich zu spüren hätte bekommen, dass ich nicht ein wichtiger Teil im Team sei. Das ist nicht selbstverständlich und ich sah respektive sehe es als etwas sehr Besonderes an.Ich nehme und nahm durch das Praktikum in der Therapiestation Carina so viel für mich mit, dass ich es nicht wirklich in Worte fassen kann, da es vor allem emotionaler, immaterieller, zwischenmenschlicher und persönlicher Natur und Art ist. Ich profitiere immer noch davon. Danke dafür.

Johanna