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Trauma Aufarbeitung und Integration

Erfahrungsbericht einer 34-jährigen Patientin

Etwas, was ist, bleibt immer bestehen, sei es als Energie oder Materie. So ist es auch mit unserer Erinnerung an alles, was war. Immer wieder tauchen bewusst oder auch unbewusst Themen aus der Kindheit, der Geburt, der Vergangenheit auf, die einem das Leben schwermachen können.

Die Eindrücke aller ungelösten Traumata bleiben an unserer Person unserem Wesen hängen und beeinflussen unsere heutigen Gedanken, unsere heutigen Emotionen und daher auch den Umgang mit unseren Mitmenschen und mit uns selber. Zum Teil bestimmt dieser unseren Alltag und lässt uns Wesentliches nicht mehr erkennen.

In den letzten 15 Jahren, lebte ich für alles nur nicht für mich. Ich arbeitete viel und besuchte eine Fortbildung nach der anderen. Baute erfolgreich mit meinem Mann eine Firma auf und gründete gemeinsam mit ihm und seinem Sohn, welcher mittlerweile unser Sohn ist, eine Patch-Work Familie.

Es gab viele Hindernisse im Alltag zu bewältigen und ich hatte absolut keine Zeit für mich und meine Interessen. Ich brauchte auch keine Zeit für mich, denn damit konnte ich nicht umgehen.

Ich lenkte mich ab wo es nur ging, löste die Probleme der Anderen und hatte immer Verständnis. Ob es mir dabei gut ging, oder mich verletzte, war mir egal. Ich stellte mich ganz hinten an und gab allen anderen den Vortritt.

Doch immer mehr rebellierte etwas tief in mir. Mit 31 Jahren fing es an und wurde von Jahr zu Jahr stärker, ich wurde unzufrieden und immer für Andere da zu sein, fing mich an zu stressen. Ich fing viele verschiedene Hobbies an, doch keines konnte mich zufrieden stellen. Mein Leben ging den Bach runter, immer öfters wünschte ich mir bei einem Unfall ums Leben zu kommen. Es gab keine Freude mehr, nur noch inneren und äußeren Stress. Ich vermied Beziehungen und schaffte es nur noch die Beziehung zu meinem Mann und seinem Sohn aufrecht zu erhalten. Medikamente Praxiten und Zoldem halfen mir über den Tag.

Alkohol oder Drogen konnte ich mir aus Pflichtbewusstsein und meinem Kontrollzwang nicht leisten. Zu versagen wäre mein Todesurteil gewesen. Bin ich doch nur etwas wert, wenn ich Leistung erbringe, Geld verdiene und meinem Nächsten das Leben somit erleichtere. Welche Lebensberechtigung hätte ich sonst gehabt?! Der Grundselbstwert war einfach nicht vorhanden.

Ich kann sehr radikal sein und bevor ich zur Gänze versage, würde ich mir das Leben nehmen. Ich meinte es ernst und schrieb mein Testament, legte mir eine Lebensversicherung zu und überlegte mir genau, wie ich den Freitod als Unfall aussehen lassen könnte, damit die Versicherung auch zahlt.

Ich kannte meine Geschichte, wusste woher meine Probleme kommen und machte laufend immer wieder eine ambulante Therapie. Doch nichts half mir aus meinem inneren Dilemma! Ich fand keinen inneren Halt, mein Leben schien einfach verdammt zu sein.


Stabilisierungsphase

Anfang Dezember 2017 kam ich, geplant für 3 Wochen zur Krisenintervention in die Carina. Schon am zweiten Tag nach Ankunft, lockerten sich die Ziegel der inneren Mauer. Zum Vorschein kam in der ersten Zeit ein massives ausgeliefert sein von Emotionen die zur Vergangenheit gehörten. Haltlosigkeit, Ablehnung meiner Person, Traurigkeit. Ich fühlte mich alleine und schutzlos. Glaubte versagt zu haben! Ich war physisch im Hier und Jetzt, doch alles andere was meine Person ausmacht, steckte in der Vergangenheit fest.

Es war mir nicht mehr möglich meine Gedanken und meine Gefühle zu kontrollieren. Tag für Tag kamen neue Erkenntnisse, Emotionen die eine andere Dimension in mir weckten. Jeder Tag, den ich länger in der Carina verbrachte, gab mir ein Stück Vergangenheit zurück. Ich lernte mich neu kennen, zu verstehen und fühlte mich mit jeder Woche mehr und mehr menschlicher.

In dieser Phase lernte ich mit Hilfe unterschiedlicher Techniken, mit überflutenden Traumabildern, Ängsten, Alpträumen, Selbstverletzungen und suizidalen Impulsen umzugehen.


Trauma Aufarbeitungsphase und Integrationsphase

Es folgte eine gezielte Trauma Konfrontation zur Verarbeitung der belastenden Ereignisse und ihrer Folgen. Durch EMDR kamen nicht nur neue Erkenntnisse zu Tage, sondern ich konnte – kontrolliert – die dazugehörigen Gefühle in einer für mich erträglichen Intensivität, erleben. Wurde es zu stark, konnte ich auf Medikamente zurückgreifen. Atem und Entspannungstechniken unterstützen den Prozess des Aushaltens im Alltag.

Ich stellte mich allem, womit ich mir schwer tat. Spürte ich inneren Wiederstand, versuchte ich diesen zu durchbrechen. Nicht immer gelang mir dies ohne Gewalt gegen mich selber, doch durch die Auseinandersetzung mit dem Widerstand, öffnete sich jedes Mal eine weitere Türe, die Erkenntnisse brachte. Chronisch entzündete Narben wurden aufgerissen, der Schmerz war an bestimmten Tagen unerträglich, die Erkenntnis zu erschreckend. Doch die Wunden wurden fürsorglich verarztet und konnten nun endlich abheilen.


Die Pferde

Ich hatte großen Respekt vor den Pferden. Zu mächtig und stark schienen sie mir. Das Wissen, es genüge ein Tritt und sie können mich ernsthaft verletzten, ließ den Respekt schnell zur Angst werden. Ich versuchte mich auf die Pferde einzulassen, doch ich war zu unruhig, nicht geerdet und dies nahmen die Pferde sofort wahr und zeigten mir ihr Unbehagen.

Die Pferde lösten in mir jedoch ebenfalls Einiges aus. In den ersten beiden Monaten, in denen ich mit den Pferden arbeitete, lösten sie in mir Hilflosigkeit und Traurigkeit aus, gefolgt von Aggression und Haltlosigkeit. Nicht ich kontrollierte die Pferde, sie kontrollierten mich. Ich war ausgeliefert und wurde ganz klein. In den Begegnungen mit ihnen wurde ich innerhalb kürzester Zeit von der erwachsenen 34-jährigen Frau, zum kleinen Mädchen.

Im Laufe der Therapie wurde mir jedoch bewusst, dass ich nicht den Pferden, sondern meiner Kindheit ausgeliefert war. Durch die körperliche Wärme der Pferde verspürte ich die Traurigkeit, über die fehlende Geborgenheit in meiner Kindheit. Thomas (Reittherapeut in der Carina) unterstützte dies, indem er mir die Sicherheit vermittelte, dass er alles unter Kontrolle hat, und ich mich voll und ganz ihm und seinen Pferden anvertrauen kann.

Die Traurigkeit machte mich weicher, ich war nicht mehr in Gedanken so hart mit meinem inneren Kind, nicht mehr so abwertend mit dem kleinen Mädchen und es fühlte sich manchmal sogar gut an, dem Mädchen im Herzen die Wärme zu geben, was ihr gefehlt hatte.


Ein weiterer wesentlicher Aspekt meiner Therapie war die handwerkliche Gestaltung

Jeder Mensch hat ein Urbedürfnis nach Urvertrauen, Halt und Sicherheit, nach Gefühlen von Liebe, Anerkennung und Geborgensein. Es geht mir dabei im Wesentlichen auch um das Bedürfnis nach Selbstwahrnehmung und um das Entwickeln von Selbstbewusstsein. Selbstwahrnehmung geschieht nach meiner Auffassung, durch Eindruck und Ausdruck von Selbsterfahrungen bzw. Selbsterleben. Beim Handwerk findet mein inneres Erleben eine äußere Gestalt und dieses Erleben taucht in meinem Bewusstsein auf. Ich bin eins mit mir, eins mit der Materie und vor allem FREI. Es verbindet, Kreativität, Vorstellungskraft, Auseinandersetzung mit der Materie mit der Natur und fördert die haptische Wahrnehmung. Man braucht Mut Neues auszuprobieren, sich auf Unbekanntes einzulassen, fördert Geduld und wenn es gelingt, dann stärkt es in hohen Maßen das Selbstbewusstsein.


Beziehungen

Durch Anja, Thomas, Hannes, dem Therapeutenteam und den Mitpatient/innen in der Carina lernte ich verschiedene Beziehungen kennen und konnte mir aus diesen, so denke ich, Einiges heraus-nehmen. Jede der unterschiedlichen Beziehungsformen für sich war sehr bereichernd und ließ mich neu entdecken.

Anja (Psychotherapeutin) spielte schon vor 15 Jahren eine sehr prägende Rolle für mich. Sie wurde für mich zum Vorbild für Frausein und Unabhängigkeit im Arbeitsleben. Mir gefiel es, dass sie sich als Frau behaupten konnte, ohne Ihre äußere Weiblichkeit zu verwenden, oder sich klein machte um beschützt zu werden. Sie stärkte in mir das Gefühl, dass man als Frau nicht immer weich und handsam sein muss, sondern auch eine gewisse Dominanz leben darf. Ich tat mir leichter, meine weiblichen und männlichen Anteile in Arbeits-Beziehungen zu leben, ohne von einem Extrem ins andere zu rutschen.

Auch durch Thomas, lernte ich in den drei Monaten so Einiges. Ich konnte mit ihm scherzen ohne dass er dies falsch auffasste, und er stärkte mein Selbstbewusstsein im Handwerk. Es gab Tage an denen ich mehr Weiblichkeit lebte und Tage an denen die männlichen Anteile spürbarer waren, doch er nahm mich immer gleich wahr und stärkte das Gefühl, dass beide Anteile an mir gut sind.

Die Beziehungen in der Gruppe waren für mich ebenfalls sehr heilsam. Es gibt hier in der Carina so viele unterschiedliche Charaktere und einen sehr wertschätzenden Umgang untereinander. Ich war zwar nicht jeden Abend in der Gruppe, doch wenn es mein Geist zuließ, dann genoss ich die Atmosphäre und es fühlte sich sehr gut an. Auch hier erfuhr ich die Freiheit in Beziehungen und eine Leichtigkeit des Seins. Es gab keine schweren Themen und viel zu lachen, ohne dass irgendjemand dabei persönlich angegriffen oder verletzt wurde. Besonders schön fand ich die Veränderungen die so manche Mitpatienten in den letzten drei Monaten vollzogen haben.

Und dann gibt es diese Menschen, die dich völlig unerwartet an einer Stelle im Herzen berühren, die du schon fast vergessen hattest, oder erst gar nicht kanntest.

Geborgenheit ist mehr als nur Sicherheit, Schutz und Unverletzbarkeit. Geborgenheit symbolisiert Nähe, Wärme, Ruhe und Frieden. Geborgenheit einmal erfahren, verändert das Wesen im Innersten. Zumindest ist dies meine Erfahrung.

Die erste Erfahrung mit Geborgenheit, machte ich schon in der letzten Therapie hier in der Carina, vor gut 15 Jahren. Ich konnte nicht alle Facetten der Geborgenheit zulassen, zu stark war der Selbstschutz noch aktiviert. Doch es reichte um nicht aufzugeben, etwas aus mir zu machen, Ausbildung, Arbeit und Familie zu gründen.

Diesmal gelang es mir die Geborgenheit zur Gänze zuzulassen. Ich erfuhr Annahme meiner Person ohne etwas leisten zu müssen, konnte sein wie ich bin und hatte keine Angst nicht zu genügen. Daher getraute ich mich immer öfters, Anteile die ich an und in mir ablehnte anzuschauen. Durch das Sicherheitsgefühl, konnte ich mich diesen annähern und zum Teil lernte ich sie zu integrieren.

Die Geborgenheit welche durch die Eltern kommen sollte, wurde mir durch psychische, physische und sexuelle Gewalt genommen. Ich denke daher, dass ich diese Form der Halt.- und Sinngebenden Geborgenheit ausschließlich bei Personen erfahren kann, wo Freiheit der Beziehung an erster Stelle steht und bei der auch keine Sexualität gelebt wird. Mir ist schon klar, dass man Geborgenheit, welche zwischen Eltern und Kinder gegeben sein sollte, nicht mehr nachholen kann. Auch bin ich mir bewusst, dass ich als erwachsene Frau nicht von äußeren haltgebenden Personen abhängig sein sollte. Doch solange es mir oder Anderen nicht schadet möchte ich nicht darauf verzichten, denn ohne diese Erfahrung wäre ich heute nicht mehr da.

Menschen sind nicht dafür geschaffen nur für sich zu sein. Menschen brauchen manchmal die Nähe und Wärme eines Anderen um sich zu spüren und um sich im Innersten wertvoll empfinden zu können. Ich für mich zumindest, brauche ab und zu einen Spiegel, durch den ich mich mit anderen Augen sehen kann, da meine Sichtweise durch abwertende Erfahrungen durch und durch geprägt ist. Ich habe in den letzten Monaten sehr viel an mir erfahren und wurde offener.

Mein Ziel für die Zukunft ist, dass ich meinen Grundselbstwert stärke um selbstbestimmt und frei durchs Leben gehen zu können. Frei von kränkenden Beziehungen, frei von Ängsten und Zwängen aus der Vergangenheit, frei von Selbstzweifel.

Abschließender Wunsch an meine Mitpatientinnen und Patienten, die derzeit in der Carina an ihrer eigenen Therapie arbeiten:

Ich wünsche Euch allen, dass auch ihr durch die Therapie den notwendigen Halt bekommt, um den Alltag mit mehr Leichtigkeit bestehen zu können. Danke

Patientin, 34 Jahre, 2. Therapieaufenthalt (nach 10 Jahren)
Dieses Mal ca. 3 Monate stationär in der Therapiestation Carina