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Gruppentherapie

Die Position in der Gruppe ist ein elementares Merkmal des menschlichen Lebens. von Menschen und Steinen.

Unser gruppentherapeutisches Konzept sieht u. a. psychotherapeutische Gruppen jeden Dienstag- und jeden Donnerstagvormittag vor. Dabei befinden sich unsere Patientinnen und Patienten sowie das Personal in einem gemeinsamen Prozess, der viele Beziehungsaspekte aufweist. Die Position in der Gruppe ist ein elementares Merkmal des menschlichen Lebens, die wir soziale Wesen sind und von Geburt an in Gemeinschaften leben – und nicht nur das, wir könnten ohne die anderen gar nicht existieren.

Der Begriff der Gruppendynamik bringt zum Ausdruck, wie viele unterschiedliche Kräfte am Werk sind, wenn es darum geht, unsere Stellung in einer Gruppe zu finden. Schließlich hängt unser Wohlbefinden maßgeblich davon ab, wie gut wir in die Gemeinschaften, denen wir angehören, integriert sind, sofern wir das denn auch wollen. Manche stehen lieber außen, leiden dann aber manchmal unter dem Gefühl der Einsamkeit und der Nicht-Zugehörigkeit.

Es gibt verschiedene Techniken gruppendynamischen Arbeitens. Am 10. September 2010 haben sich die Therapeutinnen Doris Nagel und Rosalinde Fetz entschieden, mit Steinen zu arbeiten. Doris verfügt über eine Auswahl verschiedener Steine, die alle ihre Besonderheiten haben und von welchen sie auch den Herkunftsort genau benennen kann. Manche haben eine weite Reise hinter sich, manche stammen aus unmittelbarer Nähe.

Die Gruppe wurde folgendermaßen angeleitet: Jeder Patient und jede Patientin soll sich einen Stein suchen, von dem er oder sie meint, dass er jetzt gut passt und eine Stellvertreterfunktion übernehmen kann. Die Steine sollen dann auf Tücher platziert werden, und zwar in Beziehung zu den anderen Steinen, um auszudrücken, wo in der Gruppe der oder die Betroffene dzt. steht. Es soll mit verschiedenen Positionen etwas experimentiert werden, bis es schließlich eine Momentaufnahme gibt, mit der alle Gruppenmitglieder einverstanden sind. Es soll in einem nächsten Schritt gesehen werden, wie es sich anfühlt, ob es den Wunsch gibt, etwas zu ändern und was dann gegebenenfalls getan werden müsste.

Die Auswahl der Steine ging sehr rasch und ein Patient platzierte den seinen sofort in der Mitte. Schließlich kamen die anderen Steine, die durchaus mit Bedacht ausgewählt wurden, nach und nach dazu. Dabei benötigte ein Stein einen zweiten, der ihn stütze.

Bild: Platzierung der Steine soll die momentane Beziehung untereinander widerspiegeln – das Ergebnis Kompromiss aller Beteiligter

In der anschließenden Reflektion wurden verschiedene Bedürfnisse deutlich, die gleichzeitig auch durchaus unterschiedlich waren: „Ich stehe zentral in der Mitte und hätte gerne, wenn die anderen auch noch näher zu mir kämen – vor allem auch die, die weiter weg sind. Ich weiß gar nicht, was der da hinten (zeigt auf einen äußeren Stein) tut! Die neuen Patientinnen und Patienten sind eher außen. Das passt. Sie werden schon noch hereinkommen.“

Oder: „Mein Stein hat sich ein bisschen verlaufen. Ich sehe alle, aber ich habe auch meine Ruhe. Im Gegensatz zum letzten Aufenthalt picke ich nicht mehr so auf der Gruppe und ich mache nicht mehr jeden Schmarren mit.“

Die Gruppe kümmerte sich auch aktiv um die beiden, die wegen Krankheit und eines Ausgangs fehlten. Eine Mitpatientin wählte sehr liebevoll Steine für sie aus und platzierte sie dann auch an einem nach ihrem Dafürhalten passenden Platz. Deutlich wurde, dass dieses Bild, das einen Kompromiss aller Beteiligter darstellte, mit den Einzelmeinungen nicht deckungsgleich war.

Als einem Patienten die Aufgabe übertragen wurde, die Steine umzugruppieren und sie nur nach seinen Vorstellungen zu platzieren, kam ganz ein anderes Bild heraus.

Bild: Die Beziehungen untereinander aus der Sicht eines Patienten

Es wurde viel mehr ein dichtes Konglomerat in der Mitte, jeder Stein berührte den anderen, es gab sozusagen viele Körperkontakte und ein Wunsch nach Verschmelzung war offensichtlich, nach Aufgabe der eigenen Grenzen, um in ein gemeinsames Ganzes förmlich einzutauchen. Dabei waren die Frauen weiter außen, was zu einigen Protesten führte. Außerdem bildete er auch das halboffizielle Liebespaar ab, welches sich zwar zur Beziehung bekennt, aufgrund unserer Vorgaben hinsichtlich Partnerbeziehungen während des stationären Aufenthalts diese Verliebtheit nicht in vollen Zügen ausleben kann. Dies gehört zum Bereich des sogenannten „Pairings“ und ist ein eigenes Thema.

Schließlich galt das Interesse auch noch der Frage, wer sich für welchen Stein entschieden hat und warum. Es zeigte sich, dass Größe, Farbe und Struktur der Steine sehr viele Identifikationsmöglichkeiten anboten, die auch genutzt wurden. Einer der Steine hat eine Patientin deshalb angesprochen, weil er so gesprenkelt und vielfältig war. „Er ist wie ich: Nicht langweilig und er hat einen Schliff. Die Größe passt. Er liegt gut in der Hand, er hat aber auch dunkle Flecken.“

Auch ein anderer Patient wusste gleich: „Der Große mit der weißen Linie, das ist mein Stein. Ich kann nicht sagen warum, vielleicht, weil die Linie ihm eine Struktur gibt.“ Ein anderer wollte einen dunklen und unauffälligen Stein nehmen, für einen vierten waren zwei Kreise im Stein sehr wichtig, der kleine Kreis weise ihn darauf hin, dass er früher sehr eingeschränkt gedacht hätte, jetzt gehe es ihm mehr um ‚größer’ und um ‚weiter’. Und dieser Stein benötige eben eine Stütze, damit jeder die Kreise sehe. Für einen anderen galt: „Mein Stein ist ein Lavastein, das steht für Energie und Hitze.“ Es konnten aber nicht alle ihre Auswahl so klar begründen. So meinte eine Patientin, sie hätte sich nichts gedacht, der Stein hätte ihr halt gefallen und sie könne jetzt auch nicht sagen, warum. Andere sind auf schicksalhafte Art zu ihrem Stein gekommen: „Vorhin ist ein Stein heruntergefallen und zu mir gerollt, da habe ich ihn halt genommen.“


Bild: Wieder ein anderes Bild aus der Sicht von Schwester Nadja

Schließlich gab es aus der Patientengruppe noch den Wunsch, dass auch jemand vom Personal die Patientengruppe mittels der Steine aufstellen sollte. Das hat Schwester Nadja übernommen, die gleichzeitig auch ihren letzten Arbeitstag bei uns hatte. Sie rückte die Frauen näher zusammen und nahm auch einige andere Veränderungen vor. Sie meinte, dass sie durch die vielen Wochenend- und Nachtdienste wohl ein ganz anderes Bild von der Gruppe gewonnen hätte, als dies im Alltag der Arbeitswoche der Fall sei.

Zusammenfassend war es möglich, sich ein Bild über den derzeitigen Zustand der Patientengruppe zu verschaffen. Insgesamt überwog der Eindruck eines harmonischen Ganzen, mit zentralen und etwas äußeren Positionen, aber niemand stand ganz außen oder war isoliert. Natürlich gab es auch die Bildung von Untergruppen, aber es schienen doch alle zusammen recht gut miteinander in Kontakt zu sein. Dazu passte auch die durchaus lockere und heitere Gruppenatmosphäre, die trotzdem konstruktiv war und ein ernsthaftes Arbeiten zuließ.